Chronologie eines gescheiterten Leuchtturmprojektes -
Über die mühsame Spurensuche nach den Überresten eines geplatzten Traumes, offene Fragen und notwendige Schlussfolgerungen
Am Anfang herrschte große Euphorie. Die ZF stellt gemeinsam mit OB Dupper und dem damaligem Bundesverkehrsminister Scheuer ein autonomes Bus-Shuttle vor, das schon bald durch die Dreiflüssestadt rollen könnte. Es ist Anfang April 2021, Bundestagswahljahr. Fotostrecke vom Bürgerblick und Bericht über den Auftakt gibt es, ebenso wie alle weiteren hier behandelten Quellen, verlinkt in den Kommentaren.
Das sog. „ATS-Projekt“ war 2021 dreimal Thema im Plenum des Stadtrates:
Auftakt am 26. April, Prototyp des Shuttles wurde zur Besichtigung vor der Dreiländerhalle aufgestellt, einstimmig fällt der Beschluss zum Start des Projektes. Es folgt die Vorstellung der ersten Machbarkeitsstudie am 26. Juli. In nur drei Monaten wurde die in der Vollversion angeblich 85 Seiten umfassende Studie fertiggestellt, über die Sommermonate wird eifrig an der zweiten gearbeitet. Im Wochentakt sollen damals Arbeitstreffen der Projektgruppe stattgefunden haben. Mitte September 2021 bricht eine Delegation aus Passau auf zur Shuttle-Testfahrt auf der ZF-Testrecke in Friedrichshafen. Am 15. November folgte ein weiterer Zwischenbericht, diesmal zur schon sehr konkret ausgearbeiteten zweiten Machbarkeitsstudie. Dreimal stimmte der Stadtrat einstimmig und mit viel Lob für das Tempo der Arbeitsgruppe für das Projekt.
Schon ab 2022 wehte plötzlich ein ganz anderer Wind: Öffentliche Sitzung in dieser Angelegenheit gab es seit dem bis heute letzten Zwischenbericht am 15.11.2021 keine einzige mehr. Über die vielen in Bearbeitung befindlichen offenen Punkte erfolgte – zumindest nicht in öffentlicher Sitzung - weder ein Zwischenbericht noch ein vorgestelltes Endergebnis. Und man könnte doch meinen, dass das nach der großen parteiübergreifenden Zustimmung für dieses Projekt schon etwas ist, was die Passauer Öffentlichkeit interessiert, zumal das Ganze ja in sechsstelliger Höhe aus Steuermitteln finanziert wird. Wie es also im Jahr 2022 fortfolgend weiterging, darüber wird auch die Bevölkerung nicht in Kenntnis gesetzt.
Anfang 2023 (ursprünglich war vorgesehen, dass dieses Jahr schon der erste Fahrgastbetrieb stattfinden sollte) folgt die Kehrtwende: Verweis zur Beratung in die Fraktionen, nachdem sich nicht-öffentlich zwei Ausschüsse (Finanzen & Mobilität) damit befasst hatten. Über diese nicht-öffentliche Sitzung darf ich übrigens nur schreiben, weil es die Stadt selbst veröffentlicht hat. Am 17.01.2023 titelte die PNP: "Start des Shuttles hängt vom Geld ab Beteiligungen verschoben: Lasten des Betriebs würden nun großteils bei Stadt liegen – Entscheidung vertagt“. Es sieht so aus, als würde es an der Finanzierung scheitern. Entscheidend ist die Förderung des Bundes, die wohl doch nicht so hoch ausfällt, wie vom damaligen Verkehrsminister Scheuer im Bundestagswahljahr 2021 in Aussicht gestellt worden war. Von der hohen Förderquote, die Scheuer schon in trockenen Tüchern sah, fehlt plötzlich jede Spur. Und mehr noch: Sämtliche Details (angefertigte Machbarkeitsstudien, Gutachten, tiefergehende Studien, kurzum sämtliche Untersuchungen, deren Erstellung immerhin einstimmig beschlossen wurden) kennt bis heute niemand. Worüber soll denn beraten werden, wenn diese entscheidenden Informationen fehlen, gar spurlos verschwunden scheinen?
Einstimmig wurde z.B. am 26. Juli 2021 vom Stadtrat die Beauftragung der Projektpartner beschlossen, tiefergehende Studien zur Streckenführung, den Kosten für die Infrastrukturumrüstung und Fördermöglichkeiten durchzuführen. Ausführliche Details über die Ergebnisse dazu sind bis heute unbekannt.
Die Finalisierung der zweiten Machbarkeitsstudie und anschließender Beschluss zum Umgang damit im Stadtrat wurden im Zwischenbericht am 15. November 2021 im Zeitplan zwar angekündigt, bis heute jedoch nicht umgesetzt.
Das verwundert doch, erinnert man sich an die anfänglich große Euphorie und auch das enorme Tempo, mit dem sich die Projektgruppe an die Arbeit gemacht hat, die auch nach dem November 2021 noch weiter ging. Wo also bleiben die Ergebnisse?
Auch wenn das ATS-Projekt nun also (vorerst) an der Finanzierung scheitern sollte, worauf es höchstwahrscheinlich hinauslaufen wird, so ist es dennoch schwer nachvollziehbar, warum Informationen wie die finalisierte zweite Machbarkeitsstudie und dafür angefertigte Gutachten etc. immer noch nicht zur Verfügung gestellt worden sind. Damit sich die Mitglieder des Stadtrates ein umfassendes Bild machen können über die Entwicklung des Projektes seit der Sitzung im November 2021 ist dies doch dringend erforderlich, könnte man meinen, um eine ordentliche Grundlage für die weitere Beratung und Beschlussfassung zu haben. Bis heute jedenfalls Fehlanzeige.
Diese Informationen sind jedoch wichtig, auch unabhängig davon, ob das Shuttle zum Einsatz kommt oder nicht. Ein paar Beispiele: Etwa der Radweg entlang der Granitbahn, die Prüfung eines Stegs an der Kräutlsteinbrücke, aber auch P&R auf dem ZF-Parkplatz, um einige Punkte zu nennen, mit denen sich die zweite Machbarkeitsstudie laut Zwischenbericht am 15.11.21 befasst hat. Oder in der ersten Machbarkeitsstudie tiefergehende Informationen zu bekommen, wie denn das enorme Fahrgastpotential auf der Granitbahnstrecke von rund 45.000 Fahrgästen jährlich hergeleitet wird und dem ignoranten Argument der "Spaßbahn" endgültig einen faktenbasierten Riegel vorschiebt.
All das kennen die Ratsmitglieder und auch die Passauer Bevölkerung bisher nur flüchtig und oberflächlich aus den komprimierten Präsentationen der drei Sitzungen im Jahr 2021. Tiefergehende Informationen, Zugang zum Zahlenmaterial, Veröffentlichung der beiden Machbarkeitsstudien, angefertigter Gutachten und tiefergehender Studien zur Streckenführung, bis heute Fehlanzeige. Worüber soll denn beraten werden, wenn schlicht die Informationsgrundlage dafür fehlt? Mehrere Anfragen dazu bei der Stadt blieben bisher ergebnislos, es ist ein Rätsel, warum hier dermaßen gemauert wird.
Nun stellen sich viele Fragen:
Wohin sind die große Euphorie und Begeisterung, die bei der Vorstellung des Projektes in den Stadtratssitzungen im Frühsommer 2021 allgegenwärtig war, verschwunden?
Wieso wurde es so leise, als sich abzeichnete, dass das "Leuchtturmprojekt" mangels Finanzierung zu scheitern droht?
Ab wann wusste etwa ein damaliger Verkehrsminister Scheuer, dass seine Versprechungen hoher Förderquoten nicht erfüllbar sind, um den Traum seines bundesweiten Prestige-Projektes kurz vor der Wahl zu verwirklichen?
Ab wann war einem Passauer SPD-Oberbürgermeister klar, dass es sich hier nur um Wahlkampfgetöse eines scheidenden Ministers handeln könnte, sämtliche städtische Bemühungen sich als umsonst erweisen werden und die Arbeitszeit der Verwaltung in anderen Verkehrsprojekten wie der Umsetzung des Radverkehrskonzeptes besser aufgehoben gewesen wäre?
Einen Untersuchungsausschuss wie ihn der Bayerische Landtag jüngst eingesetzt hat, um die Versäumnisse rund um den Bau der zweiten Stammstrecke in der Landeshauptstadt aufzuarbeiten, wird es in Passau nicht geben, denn so etwas ist auf kommunaler Ebene nicht vorgesehen. Uns bleiben nur die Fragestunden im Plenum, in denen man traditionell bei Fragen, die dem OB nicht gefallen, sehr wortkarge Antworten erhält oder auf den zuständigen Ausschuss verwiesen wird. Nicht selten bleiben die Fragen auch gänzlich unbeantwortet. Das gilt wohl auch für die eben genannten.
Wie kann es jetzt weitergehen? Zum besseren Verständnis nochmal ein Sprung zurück in der Historie: Die Bedeutung Trasse der Granitbahn wird schon in der ersten Vorstellung der Machbarkeitsstudie zweifelsfrei hervorgehoben: Die PNP schreibt am 27.07.2021: „Vor allem empfehle sich der Betrieb auf der Strecke "Granitbahn" und "Innenstadt", diese Strecken verfügten über ein größeres Fahrgästepotenzial und damit einen höheren Mehrwert für Passau. So heißt es in der Studie: "Gerade die Granitbahnstrecke bietet durch die geplante Mischnutzung aus Bahnverkehr und autonomen Shuttles das Potenzial, ein Leuchtturmprojekt für die Verkehrswende in Deutschland zu sein." Und: "Dieses bisher einzigartige Projektvorhaben könnte als Blaupause für weitere im Reaktivierungsprozess befindliche Bahnstrecken dienen.“
Erinnerung an die Präsentation, die tags zuvor im Stadtratsplenum gezeigt wurde und die den hohen Mehrwert der Strecke in folgenden Stichpunkten zusammenfasst:
Bundesweit erstmaliges hybrides Verkehrskonzept der Verkehrsträger Bahn & Shuttle / Passau: die Stadt, die Verkehrswende denkt und umsetzt /Passau: die Stadt, die Historie mit der Zukunft verbindet / Verkehrliche Entlastung der Inn- und Innenstadt / Emissions- und Lärmreduzierung durch verkehrliche Entlastung aller Verkehrsträger / Zusätzliches Mobilitätsangebot mit Attraktionsgewinn für Einwohner und Touristen /Anbindung Schifffahrtstouristen (Landesteg Lindau) / Entlastung B388 durch Verkehrsumlenkung (Donauradfahrtouristen)/Sicherere Fuß- und Radweganbindung (Kräutlsteinbrücke) / Chancen für integrierten mobilen Hochwasserschutz der Innstadt / Spurnutzung für Rettungsfahrzeuge
Darunter ist die Schlussfolgerung "> Granitbahn Passau als bundesweiter Leuchtturm für die Verkehrswende " zu lesen.
Sind diese vielen Chancen nun wirklich verpasst, wenn das Shuttle nicht kommt? Oder wären die meisten der genannten Vorteile, die für den Betrieb auf der Strecke der Granitbahn aufgezählt wurden, nicht auch umsetzbar mit einem batterieelektrischen oder wasserstoffbetriebenen Schienenbus? So bleibt die teure Asphaltierung von fast 5 km Bahnstrecke erspart. Anderswo fahren solche Züge bereits. Könnten sie nicht auch in Passau Historie mit Zukunft verbinden, für verkehrliche Entlastung sorgen, Emissionen und Lärm reduzieren, die Lindau-Anlagestelle anbinden und ein attraktives, gewinnbringendes Mobilitätsangebot für Einwohner und Touristen sein? Von der ersten Sitzung an hat mir nicht eingeleuchtet, warum man das nicht intensiver verfolgt, wenigstens als Plan B, falls das Shuttle scheitern sollte. Aber auch, weil der Betrieb des Shuttles von Anfang an ohnehin so geplant war, dass eine gemeinsame Nutzung der Trasse mit Zügen stets möglich ist. Wäre letzteres nicht die eindeutig sinnvollere Option für diese Strecke? Das Gleis samt Betriebsgenehmigung (in Kürze laut Granitbahn nicht nur bis Rosenau, sondern auch bis Grubweg-Lindau) wäre doch schon da. Wäre es nicht jede Bemühung wert, sich darauf vorzubereiten, eine neue Arbeitsgruppe einzusetzen und in den Startlöchern zu stehen, sobald eine geeignete Förderung für so ein Vorhaben in Aussicht ist, dort wieder einen verstetigten Zugbetrieb umzusetzen? Ob eine gemeinsame Anstrengung für eine Reaktivierung dieser Stricke sich lohnen würde, davon bin ich zwar fest überzeugt, aber dafür wären natürlich auch die Zahlen und Fakten aus den fehlenden Unterlagen relevant, damit die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden können, wie es denn jetzt weitergeht, auch wenn das Shuttle nicht kommen sollte.
Was bislang bleibt vom euphorisch beklatschten Leuchtturmprojekt, sind neben den fehlenden Informationen viele verpasste Chancen und verstrichene Zeit. Denn das, was über die Details des ATS-Projektes bekannt geworden ist, hat vor allem eines gezeigt: Die enorme Bedeutung und das Potential einer Nutzung der Granitbahn-Strecke zur verkehrlichen Entlastung der Stadt. Momentan lässt es sich der ernüchternde Rückblick so zusammenfassen: Die einst fleißige ATS-Projektgruppe entpuppt sich im Ergebnis als Zwilling des Dialogforums: Über Jahre hinweg wird geplant, geprüft, besprochen, beraten, doch am Ende bleiben die Mühen ergebnislos. Der Traum vom bundesweiten Leuchtturmprojekt scheint ausgeträumt, die Mobilitätswende in Passau wird weiter verschlafen, die Stadtratsmehrheit nimmt all das routiniert zur Kenntnis, die Ergebnisse der diversen Prüfungen und Untersuchungen scheinen die meisten Kolleginnen und Kollegen nicht wirklich zu interessieren. Gleichzeitig macht sich die Arbeit der Ilztalbahn-Engagierten endlich bezahlt und es gibt eine satte Förderung. Wie lange wird es wohl für die Granitbahn noch dauern, bis derartige Gelder fließen und sich die Stadtpolitik endlich zu einem Kurswechsel durchringt?
Die richtigen Schlussfolgerungen aus den zwei Jahren, die uns das ATS-Projekt nun begleitet hat, müssen endlich gezogen werden: Dafür braucht es vollständige Transparenz über alle Projektdetails, eine ergebnisoffene Beratung statt weiteren Hinterzimmer-Entscheidungen. Es braucht den Willen, diese Ideen weiterzuentwickeln, statt sie in staubige Schubladen wegzusperren. Und es braucht den notwendigen Pragmatismus, daraus konkrete Maßnahmen zu planen und umzusetzen.
Gastbeitrag von: Matthias Weigl
Bildquelle: Vorstellung der Machbarkeitsstudie im Stadtrat am 26. Juli 2021 © Projektpartner ATS